Die vorliegende Schrift unternimmt es, die Ethik auf eine neue Grundlage zu stellen. Nachdem seit dem frühen 20. Jahrhundert im Zuge der Metaphysikkritik und fundamentalontologischer Ansätze der Versuch einer Grundlegung ethischen Denkens weitgehend verabschiedet, zumindest aber in seiner Bedeutung relativiert wurde, soll ihr nun wieder – oder besser: erstmals – ein dauerhaftes Fundament gegeben werden. An die Stelle des herrschenden ethischen Relativismus gilt es eine objektive Ethik zu setzen.…
Read moreDie vorliegende Schrift unternimmt es, die Ethik auf eine neue Grundlage zu stellen. Nachdem seit dem frühen 20. Jahrhundert im Zuge der Metaphysikkritik und fundamentalontologischer Ansätze der Versuch einer Grundlegung ethischen Denkens weitgehend verabschiedet, zumindest aber in seiner Bedeutung relativiert wurde, soll ihr nun wieder – oder besser: erstmals – ein dauerhaftes Fundament gegeben werden. An die Stelle des herrschenden ethischen Relativismus gilt es eine objektive Ethik zu setzen. Das verlangt eine gründliche Untersuchung des eigentlichen Moments unseres Daseins – nicht nur, aber im Sinne einer eingehenden Reflexion vorzüglich des Menschen. Gefunden wird es in einer näheren Betrachtung des Moments des Bewusstseins. Bewusstsein ist immer Bewusstsein von etwas. Dieses etwas ist aber zunächst nichts, das von dem unterschieden wäre, was Bewusstsein hat. Der Fehler der bisherigen philosophischen Überlegungen liegt darin, dieses „etwas“ mit einem wenn auch unklaren eigenen ontologischen Status versehen zu haben. Aus dieser Subjekt-Objekt-Trennung aber ergeben sich nicht nur zahlreiche Schwierigkeiten, aus den damit eingehenden Missverständnissen erwächst die Krise, die nicht zuletzt jetzt zu Beginn des 21. Jahrhunderts allenthalben zu spüren ist. Denn genauer besehen besteht kein Konflikt zwischen Kulturen oder zwischen vermeintlichen Kulturbewahrern und Kulturpluralisten, sondern tiefer ein Konflikt in der (bestehenden) Kultur selbst.
Diese Objektität des Bewusstseins, die in der Abhandlung breit dargelegt wird, verweist auf die Leiblichkeit. Ohne Leib ist eine Verwirklichung des Bewusstseins nicht zu haben. Gerade dies nicht zu sehen scheint ein wesentlicher Zug der bisherigen Philosophiegeschichte zu sein. Daraus aber ergeben sich gravierende Schwierigkeiten und Fehlentwicklungen der Identität, was in der zeitgenössischen Rede von der Identitätsfalle zum Ausdruck kommt. Identität wird fälschlicherweise an akzidenziellen Merkmalen festgemacht – nicht nur, aber doch weitgehend und nahezu ubiquitär an den Genitalien. Wird dabei eine binäre Sexualität festgeschrieben, so wird die wahre Identität des Bewusstsein habenden Lebewesens verkannt. In den menschlichen Gesellschaften zeigt sich dies in dem nahezu überall und in allen bisherigen geschichtlichen Epochen vorherrschenden Bekleidungszwang. Haben wir die Objektität des Bewusstseins erkannt, wird das Fehlerhafte dieser Entwicklung deutlich. Denn dieser Zwang, genauer gesagt die dadurch vollzogene Verhüllung verhindert, wie die Untersuchung aufzeigt, die Einsicht in die je eigene Identität, die in der Leiblichkeit als dem notwendigen Moment des verwirklichten objektitären Bewusstseins besteht. Damit wird klar: Dem Sapere aude! der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, die viel Richtiges angestoßen hat, muss ein Nudare aude! zur Seite, wenn nicht vorangestellt werden. Damit gelangt das philosophische Denken zu einer erstaunlichen und überraschenden, doch aber fundamentalen Einsicht – nämlich, salopp gesagt, die Hüllen fallen zu lassen (genauer gesagt es jedem selbst zu überlassen, ob er dies tut oder nicht)!
Der erste Teil der Schrift widmet sich der Ontologie im Sinne einer echten Anthropologie. Um grob gesprochen das Wesen des Menschen (oder von selbstbewussten Lebewesen allgemein) zu bestimmen, muss die Entwicklung des Bewusstseins betrachtet werden. Gezeigt wird, dass es, damit ein Bewusstsein wirklich wird, Bewusstseinsinhalte geben muss. Ist das Bewusstsein in diesem Sinne grundlegend objektitär, muss aber doch als Bedingung seiner Möglichkeit ein davor befindliches, noch nicht wirkliches Bewusstsein ganz ohne Bewusstseinsinhalte angenommen werden: das metaobjektitäre Bewusstsein. Bewusstseinsinhalte gibt es indes nur, wenn das Bewusstsein einen Leib hat. Sprich: Wirkliches (in die Wirklichkeit getretenes) Bewusstsein heißt Leib haben. Dasein ist nicht mit dem Menschen gleichzusetzen, wie dies Heidegger noch im frühen 20. Jahrhundert tat, sondern mit der Objektität. Die Entwicklungsgrundlage dazu findet sich im metaobjektitären Bewusstsein mit seiner Veranlagung zur sinnlichen Wahrnehmung. Hier nun lässt sich die Subjekt-Objekt-Trennung überwinden, denn ein Subjekt mit potenziellem Bewusstsein, aber noch ganz ohne Bewusstseinsinhalte – und damit ohne Leib als Voraussetzung sinnlicher Wahrnehmung –, ist nun nicht mehr denkbar. Ebenso undenkbar ist dann aber auch ein Objekt, das, ganz getrennt vom Subjekt, überhaupt erst in diesem Bewusstseinsinhalte hervorruft.
Im zweiten Teil geht es um den Aufweis einer anthropologischen Ethik auf der Basis der Objektität des Bewusstseins. Haben wir die Subjekt-Objekt-Dichotomie überwunden, lässt sich die Ethik transzendental verankern. Hierzu muss der metaobjektitäre Entwicklungsprozess des Bewusstseins betrachtet werden: Die Entwicklungsgrundlage ist offen, der Entwicklungsprozess frei. Das aber verweist uns darauf, dass der jeweilige Leib, in dem sich das Bewusstsein verwirklicht, so und nicht anders geworden ist. Dieses Gewordene kann aber auf dieser metaempirischen Grundlage nur gut sein. Im Umgang mit unserer Leiblichkeit zeigt sich aber geradezu eine Verleugnung, der im Zwang, seine „Nacktheit“ zu verhüllen, zum Ausdruck kommt. Zurückzuführen ist dies darauf, dass wir unsere biologische Geschlechtlichkeit als identitätsstiftend begreifen, obwohl es sich bei den Geschlechtsorganen nur um sekundäre, akzidenzielle Merkmale handelt; die eigentliche Identität ist die Spezies, das Menschsein. Aus dieser Identitätsverkennung ergeben sich zahlreiche Schwierigkeiten mit teils katastrophalen Folgen. Eine kritische Untersuchung der Scham, aber auch der sprachlichen Entwicklung etwa in den Versuchen einer „geschlechterneutralen“ Bezeichnungsweise zeigt die Fehlentwicklungen, denn dadurch werden die Diskriminierungen nicht überwunden, sondern vielmehr weiter festgeschrieben.
Auf dieser Basis wird im dritten Teil auf einige praktische Aspekte eingegangen, die sich mit dem neuen Prinzip des Nudare aude! ergeben. Ein Blick auf die Freikörperkultur offenbart Ansätze zu einem anderen Umgang mit der eigenen Leiblichkeit, aber auch die Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten, die den bisherigen historischen Versuchen anhaften. Eingegangen wird auf Vorbehalte gegenüber dem öffentlichen Nacktsein, aber auch auf einige Inkonsequenzen etwa im Hinblick auf kritische Stimmen zur Verschleierung von Frauen im Islam. All dies macht deutlich, wie wichtig eine philosophische Grundlegung ist, wie sie die Analyse der Objektität des Bewusstseins durchgeführt hat, denn sie zeigt, dass eine Vollendung der Aufklärung und eine Fortsetzung der trotz aller Einschränkungen verheißungsvollen Zivilisation der Menschheit nur möglich ist, wenn die fundamentale Entfremdung überwunden wird, die sich aus der unhintergehbaren Leiblichkeit des im Menschen sich verwirklichenden Bewusstseins ergibt. Dem steht nun der Würdebegriff des Menschen entgegen, hat er doch seinen Ursprung gerade in der Spaltung des menschlichen Subjekts von seinem biologischen Leib. Die „Wiedervereinigung“ ohne Preisgabe der Idee der Menschenwürde scheint also nur möglich zu sein, wenn aus der philosophischen Erkenntnis auch ein entsprechendes Handeln folgt. Die Schlussfolgerungen aus der Objektität des Bewusstseins verweisen so letztendlich auf die Praxis, wie es für eine Ethik nicht anders sein kann.